Redebeitrag, gehalten bei der Antifa-Demo am 9.11.

Heute ist der 9. November. Vor 80 Jahren wurden in diesen Straßen Juden*Jüdinnen angegriffen. Es folgte der Massenmord an den europäischen Juden*Jüdinnen, die Shoa. Das Gedenken daran darf keine rein historische Perspektive annehmen. Es muss mit dem Kampf gegen aktuellen Antisemitismus einhergehen. Das Bündnis hat daher entschieden sich heute den Protesten gegen den Nazi-Aufmarsch anzuschließen. Das ist richtig. Auf der Nazi-Demo findet sich das Ekelhafteste, was der klassische deutsche Antisemitismus momentan hervorbringt. Es ist dieser stetig anwesende deutsche Antisemitismus über den am 9. November eigentlich vornehmlich gesprochen werden sollte.

Leider fällt jedoch auf: In vielen Aufrufen zu den heutigen Gegenprotesten wird Antisemitismus überhaupt nicht erwähnt. Rassismus hingegen wird überall benannt. Dieser, das sei vorangestellt, ist natürlich ein Problem. Seine Erwähnung ohne die Benennung von Antisemitismus weist jedoch auf ein massives Problem hin: Der spezifische Hass auf Juden, der die Pogrome vor 80 Jahren möglich gemacht hat und der auch heute immer wieder für Angriffe sorgt, wird so ausgeblendet. Im besten Fall bedeutet dies, dass große Teile der berliner Linken schlicht keinen Begriff von Antisemitismus und damit auch kein Bewusstsein für die Unterscheidung von Rassismus haben. Im schlechteren Fall ist es ein Indiz für die virulente Negierung von heutigem Judenhass ganz allgemein. Dieser erscheint dann fast ausschließlich als historisches Problem.

Über die Gründe für solche Fehleinschätzungen wollen wir nachdenken.

Einer davon könnte der in der Linken als Antizionismus vermeintlich ehrbar gewordene, eigene Antisemitismus sein. Dieser reduziert selbst bei diesbezüglich unverdächtigen Gruppen die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Antisemitismus.

Auch der Umstand, dass Antisemitismus, gerade da wo er zu Mordtaten führt, zuletzt, wo nicht nationalistisch und völkisch, häufig islamisch begründet wurde, mindert wohl den Willen zur generellen Konfrontation. Eine Gruppe von Menschen, die als solche von Diskriminierung betroffen ist, gleichzeitig als Ursprungsmilieu von Täter*innen zu fassen, würde die Bereitschaft erfordern Widersprüche zu ertragen und auf einfaches Freund-Feind-Denken zu verzichten. Wenn gleichzeitig rechte Hetzer, wie die AfD, beständig versuchen diesen Antisemitismus für ihren generalisierenden Hass gegen muslimische Menschen zu missbrauchen, verstärkt das wahrscheinlich die Tendenz die Augen vor dem Problem zu verschließen.

Letztlich könnte manchen Linken die Thematik bedingt durch offizielles Gedenken als zu staatstragend erscheinen. Der deutsche Staat hat allerdings vornehmlich ein instrumentelles Verhältnis zur Shoah. Als Erzählung wird der Mythos von einem geläuterten Deutschland gepflegt. Dieses habe sich in Negation zum Nationalsozialismus gebildet und kämpfe nun aufrecht gegen das Böse. „Wir haben aus unserer Geschichte gelernt“ lautet die Parole. Die Verlogenheit dieser Erzählung offenbart sich aber spätestens dann, wenn sämtliche Parteien des Bundestages Wirtschaftsbeziehungen mit offen antisemitischen Regimen verteidigen und fördern wollen.

Es braucht eine radikale Linke, die bei ihrem Handeln immer auch Auschwitz mitdenkt und damit den Kampf gegen Antisemitismus zu einem essentiellen Bestandteil des eigenen Wirkens macht. Eine Linke, die bereit ist auch den eigenen Antisemitismus in den Fokus zu nehmen. Eine Linke, die bei der Erwähnung von muslimischem Antisemitismus nicht einfach erschrocken die Augen verschließt. Eine Linke, die sich bei ihrem Kampf nicht auf das verlogene Agieren des Staates verlässt. Die nicht mitspielt bei der Zurschaustellung eines vermeintlich „besseren Deutschlands“.

Wir freuen uns, dass wir bereits eine Linke sind, die nicht bereit ist einen Nazi-Aufmarsch an einem 9. November einfach geschehen zu lassen. Wir sagen: Gegen jeden Antisemitismus! Israel bis zum Kommunismus!