Redebeitrag | Antisemit*innen – Das sind immer die Andern

Redebeitrag auf der Demonstration zum Gedenken an die Reichspogromnacht:

Nicht erst seit der Fluchtbewegung der vergangenen paar Jahre versucht das bürgerliche Milieu sämtlichen Antisemitsimus bei Migrant*innnen zu verorten und sich dabei selber jeglichen diesbezüglichen Verdachts zu entledigen.
Dabei wird dann sehr schnell vergessen, dass die deutsche Gesellschaft von Günter Grass über Jürgen Möllemann bis Martin Homann mit einer breiten Auswahl angsehener, antisemitischer Stichwortgeber*innen versorgt war und ist.

Es ist aber leider bei Weitem nicht nur diese selbsternannte Mitte der Gesellschaft, die immer wieder durch antisemitische Denkmuster und Taten auffällt. Gerade auch in der deutschen (vermeintlichen) Linken gab und gibt es zum Teil massive Probleme mit antisemitischen Äußerungen und Übergriffen. Die antisemitischen Ausfälle im Zusammenhang mit den Gaza- und Al-Quds-Demonstrationen der letzten Jahre haben die meisten von euch sicherlich noch gut (oder besser gesagt: schlecht) in Erinnerung. Auch der sogenannte “Karneval der Geflüchteten” in diesem Jahr tat sich nicht mit einer Abgrenzungshaltung gegenüber Antisemit*innen hervor.

An dieser Stelle möchten wir jedoch erstmal ein paar Schritte in der Geschichte der bundesdeutschen Linken zurückgehen und den 9. November 1969 thematisieren: Heute vor 57 Jahren versuchte die Gruppe Tupamaros Westberlin, unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Befreiungskampfes eine Welle mörderischer Angriffe gegen Juden loszutreten.
Ein Mitglied der Gruppe deponierte im jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße in Charlottenburg eine Bombe. Der Zeitzünder war so gestellt, dass diese während des Gedenkens an die Reichspogromnacht detonieren sollte. Dass die Bombe nicht das gesamte Gebäude zerstörte und die zu den Gedenkveranstaltungen versammelten 250 Menschen tötete, lag lediglich daran, dass der Zünder nicht funktionierte. In ihrem Bekennerschreiben stellten die Tupamaros Westberlin ihre antisemitische Weltsicht klar: die Juden, eine Zuschreibung die immer alle meint, seien in Isreal selbst zu Faschisten geworden und würden die Reichsprogromnacht an den sogenannten Palistinensern wiederholen. Mit dieser Propaganda der Tat solle die studentische Linke zu schonungslosen Aktionen gegen alle “Verflechtung des zionistischen lsraels mit der faschistischen BRD” gebracht werden. Mit diesen “Verflechtungen” waren insbesondere die noch in Deutschland verbliebenen Juden und Jüdinnen gemeint.
Leute, die sich damals im Umfeld von Tupamaros Westberlin bewegten, entführten einige Jahre später, im Sommer 1976, eine Air-France-Maschine und zwangen die Piloten zur Landung im Ugandischen Entebbe. Die deutschen Flugzeugentführenden Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, sonderten jüdische Passagiere und Besatzungsmitglieder bzw. wen sie für jüdisch hielten ab und bewahrten diese in ihrer Gewalt.

Die Argumentationsfigur, die Juden, welche wahlweise auch Israelis oder Zionisten genannt werden, als Zwangskollektiv mit den Tätern der Shoa auf eine Stufe stellt und ihnen das gleiche Böse zuspricht, ist noch immer gegenwärtig. In manch antirassistischer Theoriebildung werden heutzutage Juden und Jüdinnen gar zu einem Teil eines weißen Täter*innen-Kollektivs imaginiert und die Existenz von Antisemitismus somit negiert. Gerade auch die in diesen Kontexten zelebrierte Unterordnung eigener universeller Positionen unter jene, die vermeintlich oder tatsächlich Betroffenen zugesprochen werden, führt nicht zuletzt zu einer Förderung antisemitschen Wahns.
Und so ist es nicht leicht ideologische Differenzen zu finden zwischen dem Gutheißen der Morde an der israelischen Olympia-Delegation als “antifaschistische Tat” einer Ulrike Meinhof auf der einen Seite und dem heute erklingenden Abtun von wilkürlichen Messerattacken gegen jüdische Israelis als “Wiederstand gegen das Apartheitsregime” auf der anderen Seite.

Solange Israel als jüdischer Staat verhandelbar bleibt, bleibt es kaum möglich gegen Antisemitismus in all seinen Ausprägungen vorzugehen.

Israel bis zum Kommunismus!